BGH verschärft AGB-Inhaltskontrolle bei Vertragsstrafenklauseln des Auftraggebers! – (BGH, Urt. v. 15.02.2024 – VII ZR 42/22)
Sachverhalt
Ein Betreiber von Glasfasernetzen (Auftraggeber = AG) lässt diese von Unternehmen (Auftragnehmer = AN) verlegen. Hierzu schließt der AG regelmäßig Einheitspreisverträge unter Einbeziehung der VOB Teil B (2016). In den Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) verwendet der AG folgende Vertragsstrafeklausel:
„2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B)
2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:
☐ …
☒ 0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;
Beträge für angebotene Instandhaltungsleistungen bleiben unberücksichtigt. Die Bezugsgröße zur Berechnung der Vertragsstrafen bei Überschreitung von Einzelfristen ist der Teil dieser Auftragssumme, der den bis zu diesem Zeitpunkt vertraglich zu erbringenden Leistungen entspricht.
2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.
2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verwirkte Vertragsstrafe angerechnet.“
Diese vertragliche Regelung, die z.B. vergleichbar im aktuellen Vergabehandbuch des Bundes in Ziffer 2 der Besonderen Vertragsbedingungen (Formblatt 214, Ausgabe 2017 Stand 2019) enthalten ist, wobei erst In den zugehörigen Richtlinien zu 214 die im Muster offen gelassene Obergrenze mit „5 % der Auftragssumme“ angegeben ist, hält als Allgemeine Geschäftsbedingung einer richterlichen Inhaltskontrolle nicht stand und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Denn sie benachteilige in einem Einheitspreisvertrag den AN entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat in seinem Urteil vom 23.01.2003 – VII ZR 210/01 entschieden, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel in einem Bauvertrag den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, wenn sie eine Höchstgrenze „von über 5% der Auftragssumme“ vorsieht. Daraus wurde in der Bauvertragspraxis und nach Auffassung des OLG München als Vorinstanz zum Urteil des BGH vom 15.02.2024 geschlossen, dass Anknüpfungspunkt bzw. maßgeblichen Bezugsgröße für die Obergrenze von 5 % generell – unabhängig davon, ob es sich um einen Einheitspreisvertrag oder einen Pauschalpreisvertrag (oder eine wie auch immer geartete Mischform) handelt – die im Bauvertrag vereinbarte Vertragssumme („Auftragssumme“) sei und nicht etwa die Schlussrechnungssumme oder Abrechnungssumme.
Der BGH kommt in seinem Urteil vom 24.02.2024 – vom BGH selbst als „Fortführung“ der Entscheidung vom 23.01.2003 bezeichnet – nun zu dem Ergebnis, dass die im Vertrag vereinbarte „Auftragssumme“ in einem Einheitspreisvertrag nicht die maßgebliche Bezugsgröße sein könne, weil bei einem Einheitspreisvertrag bekanntlich nur die einzelnen Teilleistungen, deren für die Abrechnung maßgebliche Mengeneinheiten (z.B. m²) und die Einheitspreise je Mengeneinheit (z.B. X €/m²) vereinbart werden, nicht aber die im Leistungsverzeichnis angegebenen Mengen (§ 2 Abs. 2 VOB/B). Abgerechnet wird erst nach Fertigstellung anhand des Aufmaßes der tatsächlich ausgeführten Mengen. Deshalb stimmt in der Praxis beim Einheitspreisvertrag die „Auftragssumme“ (Vertragssumme) nie genau mit der Abrechnungssumme (Schlussrechnungssumme) überein. Ist jedoch am Ende die Vertragssumme infolge beispielsweise zu hoch angesetzter Massen im vertragsgegenständlichen Leistungsverzeichnis höher als schlussendlich die Abrechnungssumme, so wird bei einer Anknüpfung der Obergrenze von 5 % der Auftragssumme die Vergütung des AN durch Aufrechnung mit der Vertragsstrafe im Ergebnis um mehr als 5 % verringert.
Bei der im Rahmen von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlichen Abwägung der Interessen des AG (auf Einhaltung der vereinbarten Fristen hinwirkende Druckfunktion der Vertragsstrafe und mögliche Schadloshaltung des AG ohne Schadensnachweis bis zur Höhe der Vertragsstrafe) einerseits und des AN (die Vertragsstrafe darf im Ergebnis seinen Vergütungsanspruch nicht unangemessen mindern) andererseits werde der AN durch die Möglichkeit eines durch die Vertragsstrafe verursachten Verlust von mehr als 5 % seines Vergütungsanspruchs unangemessen benachteiligt. Maßgebliche Bezugsgröße kann deshalb nach Auffassung des BGH für die Grenze von 5% des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers nur die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe sein.
Fazit
Unseres Erachtens müssen (zumindest sicherheitshalber) jegliche Vertragsstrafklauseln in AGB des AG, soweit sie – wie bisher in großen Teilen – auf die im Vertrag enthaltene „Auftragssumme“ Bezug nehmen, nicht nur für Einheitspreisverträge sondern generell dahingehend neu formuliert werden, dass Bezugsgröße nicht die – wie auch immer näher definierte – Auftragssumme ist, sondern die Netto-Abrechnungssumme (ohne Umsatzsteuer) = Netto-Schlussrechnungssumme (ohne Umsatzsteuer) in ihrer objektiv richtigen Höhe.
Es ist dabei – übrigens auch im Zusammenhang mit Vereinbarungen zu Sicherheiten – erforderlich, die in den AGB die verwendeten Begriffe der unterschiedlichen Summen klar zu definieren. Denn sonst besteht das Risiko, dass die Rechtsprechung einen Begriff für unklar und intransparent hält und die Klausel deshalb gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB für unwirksam erklärt (vgl. BGH vom 06.12.2007 – VII ZR 28/07).
Im Übrigen empfiehlt sich allgemein Bauvertrags-AGB (wie auch sonstige AGB) laufend oder wenigstens regelmäßig wiederkehrend eines Rechtswirksamkeitskontrolle zu unterziehen. Denn gerade das Urteil vom 15.02.2024 zeigt wieder einmal, wie oft „sicher geglaubte“ AGB-Klauseln für die Praxis überraschend für unwirksam erklärt werden. Die gilt umso mehr, als es sich auch bei der VOB/B (derzeitige Fassung 2016) selbst um AGB handelt (der Inhaltskontrolle unterliegender Verwender ist diejenige Partei, die die VOB/B der anderen Parten stellt, also in den Vertrag einführt) und der für die Überarbeitung der VOB/B und deren Anpassung zuständige Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) sich bis heute nicht auf eine mit dem für Verträge seit 01.01.2018 geltenden Neuen Bauvertragsrecht (§§ 650a ff. BGB) abgestimmte Neufassung der VOB/B verständigen kann. Dies hat zur Folge, dass seit 2018 eine Reihe weiterer VOB/B-Klauseln für unwirksam erklärt wurden oder jedenfalls in der Literatur zu Recht für unwirksam gehalten werden und nur darauf warten, bis sie in gerichtlich anhängigen Streitigkeiten eine entscheidungserhebliche Rolle spielen und dann für unwirksam erklärt werden.